CN Sexismus, Misogynie, tone policing
Pünktlich zum 8. März folgt eine strukturelle Einordnung von Kommunikation, Macht und Misogynie – danke an die anonyme Einsendung von Personen aus dem ehemaligen Awarenessteam. Danke auch an alle anderen Menschen, die ihre Erfahrungen mit uns geteilt haben. Falls du auch Erfahrungen mit dem Mjut und dem Umgang dort hast (oder selbst ein Teil der ehemaligen Mjut-Crew) bist – melde dich bei uns unter nichtschweigen@riseup.net
Aus datenschutztechnischen Gründen verzichten wir auf wörtliche Zitate.
Wie gehen wir mit Frauen/weiblich gelesenen Personen und Kritik um? Ein patriarchales Mittel ist, diese Kritik auf eine persönliche Ebene zu bringen. Das geschieht wahlweise durch tone policing (“Du hast nicht nett genug kritisiert, ich würde es ja annehmen, wenn du nur nett genug wärst”) oder durch die Abwertung von Charaktereigenschaften. Die kritisierende, weiblich gelesene Person ist bösartig, unempahtisch, respektlos, unhöflich, streitsüchtig oder – ganz klassisch – hysterisch. Die Kritik kann nur aus Enttäuschung, Verbitterung, Hass oder einer psychischen Erkrankung (“die verrückte Ex”) herrühren, niemals aus struktureller Analyse oder objektiver Erkenntnis – denn dazu sind ausschließlich cis Männer in der Lage. Gerne wird auch auf das Verhalten abgestellt: “zu laut”, “zu aggressiv”, “als störend empfunden”. Eine Zusammenarbeit mit “unweiblichen” Frauen ist nicht vorgesehen, sie “zerstören das gute Klima”. Noch geschickter ist es, wenn das als etwas dargestellt wird, das von außen herangetragen wird. Keine Möglichkeit, Konflikte zu lösen oder Kritik konstruktiv bearbeiten zu können, das einzige was bleibt, ist, dass wenn weiblich gelesene Personen sich “unweiblich” verhalten, sie zurechtgewiesen werden und/oder ihren Arbeitsplatz riskieren.
Dabei ist völlig irrelevant, ob die Person auch wirklich eine Frau ist – oder nicht. Die inhärente Transfeindlichkeit dieser Gesellschaft und das binäre Geschlechtersystem sorgen dafür, dass die Zuschreibung von außen, das gelesene Geschlecht, schwerer wiegt als die Selbstbezeichnung der Person, das reale Geschlecht der Person. Weshalb “passing” für viele trans Personen kein “Erfüllen der Geschlechternormen”, sondern Überlebensnotwendigkeit ist. Aber zur spezifischen Transfeindlichkeit kommen wir später, zurück zu Heiligen und Huren.
Frauen (und damit auch aller Personen, die von außen für Frauen gehalten werden, aber keine sind) werden im Patriarchat grob in zwei Rollen unterteilt: Die “Heilige” und die “Hure” (für die am christlichen Glauben interessierten: die Jungfrau Maria und Maria Magdalena. Das ganze geht auf die katholische Kirche zurück und nein, die hat dabei nichts gutes im Sinn gehabt).
Die Heilige: Jene Frauen, die als unerreichbar imaginiert werden und über jede Kritik erhaben. Das jeweilige Idealbild des jeweiligen (cis) Mannes.
Die Hure: Jene Frauen, die es wagen, zu kritisieren, die es wagen, sich nicht am Mann zu orientieren, die schamlose Hure, die ihre eigene Unabhängigkeit durch so etwas schmutziges wie “Sex gegen Geld” bewahrt. (Wir möchten betonen, das hier ist ein theoretisches Konzept, wie Misogynie funktioniert. Keine Interpretation der Gedanken, die den Leuten, die solche Nachrichten schreiben de facto durch den Kopf gehen.)
Die Frau, als entweder „unerreichbare Heilige“ oder „schamlose Hure“, niemals als Freundin, gleichberechtigtes Subjekt oder gar Gegnerin – ausschließlich als Objekt in Abhängigkeit vom männlichen Subjekt.
Werden also cis Männer mit Kritik von Personen konfrontiert, die sie als weiblich wahrnehmen, geraten sie mit beeindruckender Wahrscheinlichkeit in eine Abwehr- bzw. Abwertungshaltung. “Ich bin nicht so! Ich verdiene diese Kritik nicht! Ich bin ein guter, ein linker Mann!” sagt der eine, während der andere sich auf die klassische Variante verlegt, die der “verrückten Ex”, die ohnehin nicht in der Lage wäre, ihm das Wasser zu reichen.
Woher kennen wir solche Verhaltensweisen noch? Nun, meist aus den Chats abgewiesener cis Männer, bei denen aus einem Kompliment dann ein “du bist eh zu hässlich und zu fett, um dich ficken zu können” wird. Abweisung ist etwas, das cis Männern im Patriarchat nicht nahegebracht wird – das Ergebnis sind im schlimmsten Fall Femizide, im besten Fall Beleidigungen. Denn wenn ER sie nicht haben kann, dann darf sie KEINER haben. Alternativ wird das eigene Ego durch die Abwertung “haha, eh zu hässlich” wiederhergestellt – die Gefahr, sich eine emotionale Blöße zu geben oder gar Schwäche zeigen zu müssen, wird dadurch gebannt.
Kritik, gerade öffentliche Kritik, ist eine der schlimmstmöglichen Zurückweisungen, da sich nicht nur mit dem eigenen, verletzen Ego auseinandergesetzt werden muss, sondern auch mit der Reaktion des (eigenen oder gar größeren) Umfelds. Das Selbstbild gerät so gehörig ins Wackeln und muss durch Abwertung der kritisierenden Person wiederhergestellt werden.
Wenn also Menschen, die mal im Mjut gearbeitet haben, jetzt Nachrichten erhalten, in denen sie emotional und persönlich abgewertet werden, die gar einen drohenden Unterton und einen manipulativen Beigeschmack vermuten lassen, dann ist das für uns ein Zeichen, dass wir hier cis männliche Egos gehörig gepiekst haben.
Gleichzeitig sehen wir nicht ein, dass Menschen, nur, weil wir etwas kritisieren, unabhängig von uns private, abwertende Nachrichten erhalten. Wenn die aktuelle Besetzung des Mjuts uns etwas zu sagen hat, so steht euch unser Mail-Postfach offen. Von weiterer Belästigung von Ex-Mitarbeitenden bitten wir abzusehen (auch, weil ihr da, wenn wir so die letzten Jahre betrachten, eine beeindruckende Menge an Nachrichten zu schreiben hättet).